Wie es sich anderswo wandert

Beat Werthmüller | 17.06.2019

Auch im Ausland erlebt man die Landschaft am eindrücklichsten zu Fuss. Am liebsten auf markierten Wegen. Die sind allerdings sehr unterschiedlich signalisiert wie der langjährige Wanderleiter Beat Werthmüller aus seiner Erfahrung berichtet.

Interview: Marie-Louise Zimmermann

Beat Werthmüller, auf meinen Wanderreisen habe ich in Deutschland, Österreich und Skandinavien gute Erfahrungen gemacht, schlechtere in Frankreich, Italien oder Spanien. Gilt allgemein, dass die germanischen Länder die besseren Wanderwege haben als die lateinischen?

So absolut stimmt das nicht: In bestimmten Gebieten von Frankreich, Italien oder Spanien ist das Angebot von Schweizer Qualität.

Also müssen wir es nach Ländern anschauen. Welches ist das beste?

Für mich Deutschland: in Bezug auf Länge, Unterhalt und Markierung des Wegnetzes wie auf Qualität der Information. In unserem nördlichen Nachbarland gibt es seit der Romantik eine Tradition des zweckfreien Fussreisens, die Anfang des 20. Jahrhunderts in der Wandervogelbewegung gipfelte. Leider wurde diese von den Nazis vereinnahmt und damit diskreditiert. Nicht weniger als bei uns ist Wandern in Deutschland Volkssport, deshalb bekommt man unterwegs leicht Auskunft. Und in den Tourismusorganisationen gibt es erfahrene Fachleute. Entsprechend zuverlässig sind die Infobroschüren, Karten und Apps. Manchmal wird der Perfektionismus sogar übertrieben, etwa mit überlangen Ortslisten auf den Wegweisern.

Unterscheidet sich die Qualität je nach Gebiet?

Bayern ist top, gefolgt vom Schwarzwald. Für uns Binnenländer sind aber auch die Meeresküstenwege attraktiv. Im letzten Jahrzehnt wurden viele neue Wanderrouten geschaffen, vor allem Themenwege. Das gilt vor allem für die neuen Bundesländer. Dort gibt es zum Beispiel historische Routen zu alten Mühlen oder entlang der ehemaligen Mauer.

Was hilft in der Qual der Wahl?

Die Dachorganisation Deutscher Wanderverband mit 58 Gebietsvereinen (www.wanderverband.de) vergibt das Gütesiegel «Qualitätswanderweg» und lobt ein Dutzend Weitwanderwege als «Highlight». Ausserdem verleiht der Verein Deutsches Wanderinstitut (www.wanderinstitut.de) die Auszeichnung «Premium», auch für Stadtspaziergänge und für Unterkünfte.

Und wie steht es in Österreich?

Als Alpenland hat auch unser östlicher Nachbar eine alte Wandertradition, und das Wegnetz ist generell auf Schweizer Standard. Aber die Anspruchsklassierung unterscheidet sich: Was dort als mittelschwer bezeichnet wird, wäre bei uns leicht. Entsprechend scheinen mir die Zeitangaben zu lang. Gute Auskunft findet man beim österreichischen Alpenverein (www.alpenverein.at). Allgemein gilt für jedes Land: Je touristischer eine Gegend, desto besser das Wegnetz und die Information. Die Gegend um Wien zum Beispiel ist musterhaft.

In Bezug auf die nationalen Tourismusbüros bewahrheitet sich übrigens das Klischee: Das deutsche hat mir auf Anfrage prompt umfassende Auskunft gemailt und das österreichische wenigstens brauchbare Links, während die Italiener und die Franzosen überhaupt nicht antworteten. Wie steht es denn mit Ihren Erfahrungen auf französischen Wanderwegen? Meine sind sehr durchzogen.

Die Routen entstehen eben oft an einem Pariser Schreibtisch! Das gilt vor allem für die berühmten Weitwanderwege «Grandes Randonnées Pédestres», kurz GR genannt. Davon empfehlen sich nur einzelne Abschnitte. Das werbewirksame Netz hat die staatliche Tourismusbehörde vor fast 40 Jahren konzipiert, vielfach ohne Augenschein vor Ort und ohne Absprache mit den Landbesitzern. Seither wurde es kaum mehr überprüft. So muss man nicht selten eine verbarrikadierte «propiété privée» grossräumig umgehen und lange auf Asphalt marschieren. Letzteres gilt auch für den berühmten Jakobsweg, mit teilweise überlangen Etappen und vergammelten Unterkünften.

Sind denn die lokalen Wanderwege empfehlenswerter?

Ja, gebietsweise sehr: In den französischen Alpen, in den Vogesen und im Elsass oder auch in Korsika bemühen sich die Gemeinden erfolgreich darum, vor allem in Touristengebieten. Wobei hier, wie in allen Gebirgsgegenden, die Mountainbiker eine zunehmende Plage sind. Überhaupt boomt in Frankreich der Velotourismus, zum Nachteil der Wanderer: In der Normandie oder Bretagne zum Beispiel wurden viele Routen asphaltiert. Und manche sind zugleich als Reitwege signalisiert, was schwierig ist für Leute, die sich vor Pferden fürchten.

Stichwort Hunde: In Süditalien haben mich die aggressiven Wächter zu grossen Umwegen gezwungen.

Ach, Italien … Ich selbst wandere am liebsten in der Basilicata und kenne deshalb die Probleme. In unserem südlichen Nachbarland gehen nur Menschen aus der Unter- oder der Oberschicht zu Fuss: Erstere können es sich anders nicht leisten, während in gebildeten Kreisen Naturexkursionen Mode sind, oft in von Professoren geführten Seniorenklubs. Ein hart arbeitender italienischer Bauer versteht nicht, dass man sich freiwillig so anstrengt und verweist einen auf die Asphaltstrasse. Am besten kennen Lehrer oder Pfarrer die alten Fusswege, aber diese sind oft überwachsen. Oder zerschnitten durch eine Autobahn ohne Überführung. Die süditalienischen Tourismus- oder Gemeindebehörden wissen kaum Bescheid, ihre Broschüren sind fehlerhaft. Ausserdem begegnen Einheimische den autolosen Fremden nicht selten misstrauisch: Als wir in Kalabrien Orchideen fotografierten, fragte uns ein Bauer, was denn an seinem Eselfutter so interessant sei und zeigte uns bei der Polizei an …

Ist es denn besser in Norditalien?

Wesentlich, vor allem in Alpennähe: Im österreichisch geprägten Südtirol oder im Piemont, insbesondere dank Schweizer Unterstützung im Valle Maira, gibt es ein ausgebautes Netz. Auch die Toskana hat grosse Fortschritte gemacht, vor allem im Nordteil der Provinz, in Chianti und der Garfagnana. Und Umbrien, Sardinien oder die Umgebung von Rom verbessern sich ständig. Berühmte Wandergebiete sind die ligurischen Cinque Terre und die Liparischen Inseln. Dasselbe gilt übrigens für das spanische Mallorca.

Wie kommt man in den verschiedenen Ländern an den Beginn der Wanderung und vom Ziel wieder weg?

Die Qualität des öffentlichen Verkehrsnetzes ist sehr unterschiedlich: Gut in den Tourismusgegenden von Deutschland und Österreich, wo vielerorts eine Gästekarte Anrecht auf Gratisbenützung bietet und auch Wanderbusse eingesetzt werden. Schlecht in Frankreich und Italien, vor allem in der schulfreien Zeit. In beiden Ländern gibt es auch Hotels, die Wanderungen offerieren: Manchmal geführt vom Besitzer selbst, aber etwa auch von einem pensionierten Lehrer, der mit trainierten Gruppen kaum Schritt halten kann.

BEAT WERTHMÜLLER

Seit 34 Jahren arbeitet Beat Werthmüller für Baumeler Wanderreisen. Offiziell ist er pensioniert, tatsächlich aber noch oft mit Gruppen unterwegs auf der ganzen Welt. Am Gartentisch seines Hauses in Schlosswil berichtet er über seine Erfahrungen. Da gibt es viele amüsante Geschichten. Uns interessiert aber vor allem seine kritische Einschätzung des Wanderwegnetzes in unsern Nachbarländern.

Text: wandern.ch

Textquelle: Magazin wandern.ch

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