Der unbekannte Jakobs-Küstenweg «Camino del Norte»

Oscar Valero | 15.12.2016

Die Nordküste Spaniens ist der Inbegriff des Masslosen: Der unbezähmbare Atlantik trifft auf verschwenderisch facettenreiche Landschaften, welche von eigenbrötlerischen Menschen besiedelt werden, deren Grosszügigkeit sich vor allem in ihrem einzigartigen Umgang mit den Speisen manifestiert.

Wenn ich an die Nordküste Spaniens denke, kommt mir sofort ein Plakat in den Sinn, das vor über zwanzig Jahren für ein Schweizer Berggebiet warb: «… eigentlich viel zu schön, um dafür Werbung zu machen».

DIE ANZIEHUNGSKRAFT DES ANDEREN

Die landschaftliche Schönheit ist nur der Beginn eines tiefer liegenden Zaubers, der einen sehr leicht in den Bann ziehen kann. Der Reiz des Baskenlandes liegt meiner Ansicht nach in seiner über Jahrhunderte durch die geografische Lage begünstigte Andersheit. Die Isolation hat in dieser Region kulturelle Eigenheiten hervorgebracht, welche die Basken zu einem Kuriosum innerhalb des europäischen Kontinents gemacht haben. An dieser Ecke Spaniens hat sich eine der ältesten Sprachen (wenn nicht die älteste) Europas erhalten. Es werden noch heute Sportarten praktiziert, die es andernorts kaum gibt. Das Pelotaspiel in seinen verschiedenen Varianten (Pelota oder Cesta-Punta) ist ein gutes Beispiel. Es handelt sich hierbei um eine am ehesten mit dem Squash zu vergleichende Sportart, bei der der Reiz für die Zuschauer vor allem darin liegt, dass sie auf die Spieler Geld setzen können. Die Disziplin aber, wo die Basken der Vollkommenheit am nächsten kommen, ist ohne jeden Zweifel die Gastronomie.

DAS ESSEN ALS BERUFUNG

Die Liebesbeziehung der Basken zum Essen ist aussergewöhnlich. Es ist eine anhaltende «amour fou». Belege für diese Passion gibt es unzählige: San Sebastian weist mit 16 Michelin Sternen auf 186 000 Einwohnern eine der höchsten Sterne-Dichten der Welt auf. Ferner besitzt die Stadt die erste kulinarische Universität Spaniens, das «Basque Culinary Center», welches sich der Aufgabe verschrieben hat, die Tradition zu erhalten ohne die Innovation zu vernachlässigen.

 

SOCIEDADES GASTRONÓMICAS: SLOW FOOD AVANT LA LETTRE 

Die schlemmerhafte Seele der Basken zeigt sich vor allem in einer Institution, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden ist und sich bis heute äusserster Beliebtheit erfreut: die «sociedades gastronómicas». Nebst der Geselligkeit ist die einzige «raison d’être» dieser Kochgesellschaften (es gibt weit über tausend im Baskenland), das Universum des Essens. In den meisten dieser Vereine hat sich bis heute das Gesetz gehalten, dass die Küche ausschliesslich den Männern vorbehalten ist und die Frauen und Freunde als Gäste bewirtet werden. Die Prinzipien dieser Gastrogesellschaften sind sehr einfach: Die Profiküchen können von allen Mitgliedern zu jeder Tages- und Nachtzeit genutzt werden. Die Zutaten werden von den Mitgliedern gekauft und es wird immer darauf geachtet, dass saisonale Produkte bevorzugt werden. Die sympathischste Seite dieses Beisammensein ist jedoch, dass bei der Zubereitung und beim späteren Essen Alt und Jung vorwiegend über das Essen fachsimpeln. Kein Wunder sind viele aus diesen Gesellschaften hervorgegangene Gerichte ein wichtiger Bestandteil der traditionellen baskischen Küche geworden. Dass dieses sinnliche Erbe der Menschen gerade auf dem Weg des spirituellen Erbes des Caminos liegt, macht diese Region noch attraktiver. Ich bleibe dabei: «Eigentlich viel zu schön, …».


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